Darstellung der verfügbaren Fakten zur Frage des Fortbestands und der Geltendmachung von Rückzahlungsansprüchen Griechenlands gegen Deutschland aus der Zwangsanleihe der Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg.
Die Frage der deutschen Kriegsschulden gegenüber Griechenland unterteilt sich in zwei verschiedene Komplexe. Der eine Komplex dreht sich um die Frage nach der Wiedergutmachung für das im Zweiten Weltkrieg erlittene Leid und die Kriegsschäden, während sich die der zweite Komplex eine Zwangsanleihe aus dem Jahr 1942 zum Gegengestand hat.
Dabei wird darüber spekuliert, ob etwaige Reparationsfragen bestehen, ob sie 70 Jahre nach Kriegsende ihre Berechtigung verloren haben und ob, von der rechtlichen Situation einmal abgesehen, eine moralische und politische Pflicht der deutschen Bundesregierung besteht, die berücksichtigt werden müsste.
Der Artikel befasst sich im Wesentlichen mit der zweiten Frage, also dem Rückzahlungsanspruch aus der Zwangsanleihe in rechtlicher Hinsicht. Eine Prüfung der materiellen Berechtigung des Anspruchs kann im Rahmen dieses Beitrags nicht erfolgen, sondern es werden lediglich die formellen Rechtsgrundlagen und Voraussetzungen des Rückzahlungsanspruchs und seiner Geltendmachung dargestellt.
Sachverhalt
Nachdem das Deutsche Reich bzw. die
Wehrmacht im
Balkanfeldzug (April 1941) Griechenland besetzte, wurde die
Bank von Griechenland genötigt, der
Deutschen Reichsbank eine
Anleihe in Höhe von 476 Millionen Reichsmark zu gewähren und ihre Devisenreserven an das Deutsche Reich abzutreten. Dies ergibt sich u.a. aus einem Bericht des
Auswärtigen Amtes des Deutschen Reiches vom 12. April 1945 an die
Reichsbank. ( Aktenstück
R 27320 im
Politischen Archiv des Auswärtigen Amts. Archivnummer und Betrag angeführt bei
Hagen Fleischer:
Wenn ihr euch erinnert, können wir vergessen,
Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), 17. März 2014.) Eine Zurückzahlung der „Besatzungskosten“ oder der „Anleihe“ ist nie erfolgt. (
https://de.wikipedia.org/wiki/Reparationen#Griechenland) Von Bedeutung für den Anspruch ist ferner, ob mit der Zwangsanleihe nur Besatzungskosten der Wehrmacht in Griechenland gedeckt, oder ob die Mittel auch anderweitig verwendet wurden. Ferner sollen bis Kriegsende sogar die ersten zwei Tranchen der Anleihe zurückgezahlt werden.
Aus griechischer Sicht stellt die Zahlung der beiden Tranchen ein Anerkenntnis des Rückzahlungsanspruchs dar. Durch seit Kriegsende unterbliebene Zins- und Zinseszinszahlungen sind die ca. 476 Mio. Reichsmark bis Ende 2011 nach deutschen Berechnungen auf mittlerweile rund 3,3 Milliarden Reichsmark bzw. 8,25 Milliarden Dollar aufgelaufen (Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages WD 4, 093/12). Griechische Quellen gehen hingegen von noch höheren Summen, teilweise von 40 Mrd. Euro und noch mehr aus.
Mit dem Londoner Schuldenabkommen von 1952 wurde vereinbart, dass die Verhandlungen über deutsche Kriegsschulden bis zur Einheit Deutschlands zurückgestellt werden sollten.
Im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurde der Zwei-plus-Vier-Vertrag abgeschlossen, der die deutschen Kriegsschulden abschließend regeln sollte.
Problem ist hierbei, dass die Teilnahme u.a. Griechenlands an diesen 2+4 Gesprächen vermieden wurde und Griechenland deshalb als Vertragspartei nicht dabei war. Der damalige Außenminister Herr Hans-Dietrich Genscher hat dazu in seinem Buch ausgeführt, dass man die Bezeichnung „Friedensvertrag“ bewusst vermieden und den Vertrag als „2+4 Vertrag“ getauft habe, um etwaigen Reparationsforderungen zu entgehen. Dies deckt sich mit den SPIEGEL-Informationen und Unterlagen aus dem Revolutionsjahr 1989/90, die der SPIEGEL ausgewertet hat. Danach hielt der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl und sein Außenminister Hans-Dietrich Genscher bei den Verhandlungen Länder wie Griechenland vom Verhandlungstisch fern und vermieden bewusst Formulierungen, aus denen sich Entschädigungen hätten ableiten lassen.
„Kohls Unterhändler sorgten demnach zudem dafür, dass der Begriff "Friedensvertrag" nicht verwendet wurde, der vermutlich zu griechischen Forderungen geführt hätte.“ und „
An einem "Friedensvertrag" könne man "aus finanziellen Erwägungen kein Interesse haben", erklärte Staatssekretär Friedrich Voss.“ (
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/griechenland-kohl-trickste-bei-reparationsforderungen-a-1019588.html). Der „2+4 Vertrag“ wird heute als „Meisterwerk der Diplomatie“ bezeichnet. (
https://de.wikipedia.org/wiki/Zwei-plus-Vier-Vertrag).
Heute argumentiert Berlin, die Griechen hätten ihre Forderungen 1990 vorbringen müssen. In diesem Zusammenhang stellt sich jedoch die Frage, wann Griechenland eigentlich seine Forderungen hätte geltend machen sollen, wenn nach dem Londoner Schuldabkommen von 1952 die Kriegsschuldforderungen bis zur Wiedervereinigung zurückgestellt wurden, während mit dem „2+4 Vertrag“ 1990 eine abschließende Regelung ohne die Teilnahme Griechenlands an den Verhandlungen getroffen worden sein soll. Damit wäre weder zwischen 1952 und 1990 noch nach 1990 die Geltendmachung möglich gewesen. Das Argument, dass Griechenland seine Forderungen 1990 hätte geltend machen müssen, dürfte deshalb aus tatsächlichen Gründen aber auch aus juristischen Gründen wohl unhaltbar sein, denn ein Vertrag zu Lasten Dritter in dessen Abwesenheit ist rechtlich nicht möglich bzw. wirksam. Eine etwaige nachträgliche Zustimmung zum „2+4 Vertrag“ kann dabei nur als eine Zustimmung zur Wiedervereinigung Deutschlands aber nicht als Verzicht auf etwaige eigene Forderungen bewertet werden.
Der Bundesgerichtshof stellte insoweit fest: "
Das Londoner Schuldenabkommen ist jedoch durch die abschließende Regelung im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung Deutschlands als Moratorium gegenstandslos geworden... Soweit sie (bzw. die Vertreter der Bundesregierung)
im vorliegenden Prozess darüber hinaus meint, der Zwei-plus-Vier-Vertrag schließe sämtliche unter Art. 5 Abs. 2 LondSchAbk fallenden Individualansprüche endgültig aus ..., hat dies allerdings, was die streitigen Ansprüche der Kläger angeht, keine Grundlage, weil - abgesehen davon, daß Griechenland nicht Vertragspartei war -nicht ersichtlich ist, woraus sich ein Verzicht dieses Staates auf individuelle Ansprüche zu Lasten seiner Angehörigen ergeben und seine Wirksamkeit herleiten soll." (III. Zivilsenat ZR 245/98). Dies bedeutet, dass die ehemaligen Kriegsgegner, in diesem Fall Griechenland, evtl. die Möglichkeit hätten, ihre Forderungen geltend zu machen.
Stellt die Zwangsanleihe eine Reparationsforderung oder einen Kredit dar ?
Nach griechischer Sicht ist juristisch noch nicht abschließend geklärt, ob eine Rückzahlung der Zwangsanleihe unter die Reparationszahlungen zu rechnen ist oder nicht vielmehr
zivilrechtlich als Kredit betrachtet werden muss.
Die
deutsche Bundesregierung sieht die Forderung nach Rückzahlung der Anleihe als
Reparationsforderung an und ist insofern nicht zahlungsbereit, da bezüglich der Wiedergutmachung Regelungen geschlossen und Zahlungen geleistet wurden, von denen auch Griechenland profitierte. Nach Jahrzehnten
„friedlicher, vertrauensvoller und fruchtbarer Zusammenarbeit“ zwischen Deutschland und dem NATO- und EU-Partner Griechenland, so die Bundesregierung weiterhin, habe „die Reparationsfrage ihre Berechtigung verloren“. (Antworten der Bundesregierung auf mehrere Kleine Anfragen der
Fraktion Die Linke,
BT-Drs. 17/709 vom 11. Februar 2010 und
18/451 vom 6. Februar 2014.
Die Ansicht der Bundesregierung ist juristisch umstritten. Nach dem Gutachten des
Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages (WD 4, 093/12) ist sie nicht zwingend. Reparationszahlungen aus Kriegsschulden und Kriegsverbrechen sind dabei nicht gleichzustellen mit einer der griechischen Zentralbank auferlegten Zwangsanleihe.
Wurden etwaige Ansprüche mit den Zahlungen aus dem Wiedergutmachungsvertag von 1960 abgegolten ?
Im Rahmen des Vertrages mit der Bundesrepublik vom 18. März 1960
über Leistungen zugunsten griechischer Staatsangehöriger, die von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen worden sind, erhielt Griechenland Zahlungen in Höhe von 115 Millionen
D-Mark „zugunsten der aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung von
nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffenen griechischen Staatsangehörigen“ und Hinterbliebenen. (siehe Bundesdrucksache 2284 vom 6.12.1960
https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/03/022/0302284.pdf ).
In der Bundesdrucksache ist auch der weitere Briefwechsel zwischen dem Auswärtigen Amt und der griechischen Botschaft in Bonn enthalten. In ihrem Brief vom 18.3.1960 behält sich die griechische Botschaft vor,
„mit dem Verlangen nach Regelung weiterer Forderungen, die aus nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen während Kriegs- und Besatzungszeit herrühren, bei einer allgemeinen Prüfung gemäß Artikel 5 Abs. 2 des Abkommens über deutsche Auslandsschulden vom 27. Februar 1953 [an die deutsche Regierung] heranzutreten“.
Die Forderungen nach Kriegsentschädigungen und nach Rückerstattung der Zwangsanleihe von 1942 wurden damit von dieser Vereinbarung ausgeklammert und ist nicht mit der Zahlung aus dem Wiedergutmachungsvertrag von 1960 abgegolten.
Höhe der Forderung:
Der Wert der Zwangsanleihe von 1942 wird von Fachleuten sehr unterschiedlich eingeschätzt: Die Berechnungen liegen zwischen drei Milliarden und 64 Milliarden Euro. Nach einem vertraulichen Bericht einer Expertenkommission des griechischen Rechnungshofs, der im Januar 2015 der
Regierung vorgelegt wurde, sollen die griechischen Experten auf eine Zahl von elf Milliarden Euro kommen. Andere Experten schätzen die Gesamtschulden Deutschlands gegenüber Griechenland mittlerweile auf bis zu 160 Milliarden oder sogar auf 575 Milliarden Euro. Eine griechische Studie zu Geldforderungen Griechenlands an Deutschland wurde Anfang März 2013 abgeschlossen und als streng geheim deklariert. Am 8. März 2015 veröffentlichte die Zeitung „
To Vima“ diese Studie. Die Gesamtforderungen werden darin zwischen 269 und 332 Milliarden Euro beziffert. Ministerpräsident Tsipras sagte zwei Tage nach der Veröffentlichung, ein Parlamentsausschuss solle sich mit dem Thema befassen. (
https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Zwangsanleihe_in_Griechenland mit Verweis auf weitere Fundstellen).
Anwendbares Recht:
Der erste zu klärende Rechtsfrage, ist die Frage nach dem anzuwendenden Recht, also ob der Sachverhalt nach gegenwärtigem oder dem das zum Zeitpunkt seiner Entstehung geltenden Recht geklärt werden muß. (Quellen: Deutscher Bundestag, Drucksache 18/451 vom 06.02.2014, Deutscher Bundestag, Ausarbeitung WD 2-3000-093/13)
Ausgangsposition ist dabei zunächst der Grundsatz, dass die Entstehung völkerrechtlicher Ansprüche nach dem Völkerrecht zu beurteilen ist, das zum Zeitpunkt dieser Entstehung galt. Folgerichtig lehnen Staatenpraxis und Rechtsprechung die Rückwirkung völkergewohnheitsrechtlichen Deliktsrechts ab.
Allerdings gilt im Völkerrecht kein allgemeines Rückwirkungsverbot. So ist insbesondere im Bereich des völkerrechtlichen Vertragsrechts eine rückwirkende Anwendbarkeit neuer Vertragsbestimmungen zulässig und jedenfalls dann zu bejahen, wenn die Vertragsparteien diese Rückwirkung ausdrücklich vereinbaren. Demnach bestünden also keine grundsätzlichen völkerrechtlichen Bedenken, wenn sich Griechenland und Deutschland in einer vertraglichen Vereinbarung darauf verständigt hätten, im bilateralen Verhältnis das erst zu einem späteren Zeitpunkt in Kraft getretene Recht auf einen historisch zurückliegenden Sachverhalt anzuwenden.
Hinsichtlich der Zwangsleihen von 1942 führt die Anwendung der allgemeinen Grundsätze des intertemporalen Völkerrechts zu dem Ergebnis, dass die materielle Völkerrechtskonformität der Zwangsanleihen nach dem zum damaligen Zeitpunkt geltenden Völkerrecht zu beurteilen ist.
In diesem Fall würde die Haager Landkriegsordnung vom 26. Januar 1910 gelten, da gemäß Art. 2 beide kriegsführende Parteien (in dem Fall Deutschland und Griechenland) die Landkriegsordnung gezeichnet hatten. Des Weiteren regelte die Landkriegsordnung welche Eingriffe in das Eigentum des besetztem Gebiets zulässig sind und welche nicht. Dabei wird unterschieden zwischen privatem und öffentlichem Eigentum.
Anwendung findet auch Art. 49 Haager Landkriegsordnung, wonach der Besetzende in den besetzten Gebiet unter anderem Auflagen in Geld erheben darf, sofern diese zur Deckung der Bedürfnisse des Heeres oder der Verwaltung dieses Gebiets dienen. Somit hängt die Bewertung der völkerrechtlichen Zulässigkeit der Zwangsleihe nach der Haager Landkriegsordnung – bzw. des entsprechendem Völkergewohnheitsrecht – unter anderem davon ab, wie die erhobenen finanziellen Mittel tatsächlich verwendet wurden. Sollten also die Zwangsanleihe auch zu militärischen Zwecken außerhalb von Griechenland gedient haben, lägen diese Vorgänge außerhalb des Regelungsgehalts des Art. 49 Haager Landkriegsordnung. Diese Ansicht wird auch in der Literatur vertreten (siehe Vgl. Dietrich Eichholz, Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945, Band III Teil 2, München 2003, S. 459)
Nach Prof. Hagen Fleischer, Historiker, Universität Athen wurde die Zwangsanleihe jedoch für militärische Zwecke außerhalb Griechenlands, insbesondere für den Nordafrikafeldzug verwendet.
„Die deutschen Besatzer pressten dem ausgeplünderten Land zudem Millionen-Kredite ab. Jeden Monat musste die griechische Nationalbank eine so genannte Zwangsanleihe aufbringen. Damit wurden dann vor allem solche Kosten und Ausgaben der Wehrmacht gedeckt, die nicht unter die normalen Besatzungskosten in einem Krieg fallen. Das waren dann die Kosten für die Kriegsführung im östlichen Mittelmeer. Selbst Rommels Nordafrikafeldzug wurde zum Teil von den Griechen mitfinanziert.“ ( https://www.rbb-online.de/kontraste/archiv/kontraste-vom-12-03-2015/griechenland-deutsche-schulden.html )
Die Verwendung der Zwangsanleihe für militärische Zwecke in Nordafrika wäre, soweit dies zutreffend sein sollte, demnach nicht als „Eingriff in das Eigentum des besetzten Gebietes“ vom Regelungsgehalt des Art. 49 Haager Landkriegsordnung gedeckt.
Anerkenntnis des Anspruchs
Folgt man den verfügbaren Informationen soll das Deutsche Reich bereits eine oder zwei Tranchen als Rückzahlung an Griechenland geleistet haben. Die griechische Seite geht deshalb von einem Anerkenntnis des Bestehens des Rückzahlungsanspruchs aus.
Nach Prof. Hagen Fleischer hätten die Nazis noch kurz vor Kriegsende mit der Rückzahlung der Zwangsanleihe begonnen, wie aus Dokumenten hervorgehe, die er entdeckt habe. Eine von Nazi-Deutschland selbst berechnete und anerkannte Restschuld von 476 Millionen Reichsmark sei aber offen geblieben. (Prof. Hagen Fleischer, Historiker, Universität Athen https://www.rbb-online.de/kontraste/archiv/kontraste-vom-12-03-2015/griechenland-deutsche-schulden.html )
Zuständiges Gericht
Mit Hinblick auf die Geltendmachung der Zahlungsanspruche Griechenlands gegen Deutschland stellt sich die Frage nach dem örtlich und sachlich zuständigen Gericht.
Grundsätzlich kann der Internationale Gerichtshof (IGH), soweit die Voraussetzungen seiner Zuständigkeit erfüllt sind, seine Gerichtsbarkeit sowohl im Hinblick auf Schadensersatzansprüche als auch bezüglich vertraglicher Ansprüche ausüben, d. h. auch im Falle der Zwangsanleihe (Siehe im einzelnen Christian Tomuschat, Kommentierung zu Art. 36 IGH-Statut, in: Andreas Zimmermann/Christian Tomuschat/Karin Oellers-Frahm (Hrsg.), The Statute of the International Court of Justice, A commentary, Oxford 2006, S. 589 ff). Die entscheidende Frage ist in diesem Fall, ob sich Deutschland seiner Gerichtsbarkeit freiwillig unterwirft, denn Deutschland hat erst 2008 eine Unterwerfungserklärung gemäß Art. 36 ab 2 des IGH-Status abgegeben die aber nicht rückwirkend auf ältere Streitigkeiten anwendbar ist.
Sollte also der IGH keine Zuständigkeit für eine solche Klage haben, kämen nur noch nationale und deutsche Gerichte in Frage. Vor den nationalen Gerichten eines anderen als des in einem Verfahren beklagten Staates können Ansprüche nach gegenwärtigem Stand des Völkerrechts nur geltend gemacht werden, sofern sich der beklagte Staat nicht auf seine ihm zustehende Staatenimmunität beruft. Im Falle der Durchführung des Verfahrens in einem anderen Land müsste Deutschland also auf seine Staatenimmunität verzichten und sich der ausländischen nationalen Gerichtsbarkeit freiwillig unterwerfen. Anderenfalls müssten Ansprüche Griechenlands wegen der Zwangsleihen gegen Deutschland im Rahmen eines Verfahrens vor deutschen Gerichten erhoben werden.
Verjährung und Verwirkung der Ansprüche
Schließlich müsste noch geklärt werden, ob Deutschland im Falle einer Geltendmachung der Ansprüche die Verjährungseinrede bzw. Verwirkung entgegenhalten könnte. Dies hätte zur Folge, dass Deutschland Zahlungsansprüche Griechenlands nicht mehr erfüllen müsste.
Problematisch erscheint bei dem Verjährungseinwand der Zeitpunkt des Verjährungsbeginns. Für den Beginn des Laufs der Verjährungsfrist bedarf es der Fälligkeit des Anspruchs. Der Fälligkeitseintritt setzt seinerseits ein bestimmtes oder bestimmbares Datum voraus. Dabei gilt die Fälligkeit als wesentliche Voraussetzung des Beginns der Verjährung. (Vgl. zum allgemeinen Rechtsgedanken, dass die Verjährung erst bei Fälligkeit beginnt, im deutschen Recht § 194 Bürgerliches Gesetzbuch).
In der Zwangsanleihe wurde jedoch kein Datum für die Fälligkeit der Darlehensrückzahlung bestimmt. Vertretbar wäre unter Umständen die Annahme, dass die Fälligkeit der Rückzahlung und der Verjährungsbeginn mit Abschluss und Inkrafttreten des Zwei-plus-Vier-Vertrag eintrat, nachdem dieser 1990 anstelle eines Friedensvertrags geschlossen wurde. Wie oben dargestellt wurde der „2+4 Vertrag“ gerade deshalb nicht als Friedensvertrag bezeichnet wurde, um etwaigen Reparationsforderungen zu entgehen.
Für eine solche Annahme könnte sprechen, dass im Jahre 1965 der damalige Bundeskanzler Ludwig Erhard der griechischen Regierung in Aussicht stellte,
„sobald die deutsche Wiedervereinigung unter Dach und Fach sei, werde man die Zwangsanleihe zurückzahlen“. Allerdings erscheint fraglich, ob ein möglicherweise zu einer Entscheidung berufenes Gericht zu der Rechtsauffassung gelangen würde, dass allein die unilaterale Erklärung des Bundeskanzlers von 1965 zur Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs im Jahre 1990 geführt haben könnte.
Prof. Hagen Fleischer, Historiker, Universität Athen: „Wie eingangs bereits erwähnt, war Griechenland an den Verhandlungen zum „2+4 Vertrag“ nicht beteiligt. Beim Vertrag, der 1990 schließlich unterzeichnet wurde, strich man das Wort „Frieden“ einfach. Denn ohne Friedensvertrag keine Reparationen. Der Vertrag hieß nun „2+4-Vertrag“ – ohne auch nur ein Wort über Entschädigungen und den Zwangskredit zu verlieren. Ausgehandelt hatten das Abkommen die DDR, die BRD und die vier großen Siegermächte – Griechenland durfte nicht mitreden. Die Ansprüche aber sollten aus Sicht der Bundesregierung fortan verwirkt sein. „Herr Kohl, als er zum ersten Mal angesprochen wurde, sagt er: „Jetzt? Na jetzt ist es zu spät“. Also das zu früh/zu spät kommt direkt hintereinander und von griechischer Seit merkt man natürlich die Absicht und ist verstimmt. In einer diplomatischen Note forderte Griechenland 1995 erneut Verhandlungen über die Rückzahlung der Zwangsanleihe, wurde aber kühl abserviert: „Nach Ablauf von 50 Jahren nach Kriegsende … habe die Reparationsfrage ihre Berechtigung verloren.“ (https://www.rbb-online.de/kontraste/archiv/kontraste-vom-12-03-2015/griechenland-deutsche-schulden.html)
Dass Griechenland etwa durch konkludentes Verhalten auf seinen Darlehensrückzahlungsanspruch verzichtet hat, würde voraussetzen, dass Griechenland im Hinblick auf die Geltendmachung des Anspruchs untätig war, während Deutschland berechtigterweise auf die Geltendmachung zur fraglichen Zeit vertrauen durfte. (WD 4 093/13). Eine Verwirkung des Anspruchs scheidet insoweit aber wohl aus, weil Griechenland zum einen immer wieder auf das Bestehen des Anspruchs hingewiesen hat, die Ansprüche 1960 ausgenommen wurden, im Memorandum von 1965 erneut auf die Ansprüche eingegangen wurde und zum anderen die Zahlung nach einer Wiedervereinigung Deutschlands in Aussicht gestellt wurde, während die Anwesenheit Griechenlands bei den „2+4“ Verhandlungen bewusst vermieden wurde, und es damit seine Ansprüche nicht geltend machen konnte. Die griechische Regierung hat gegenüber der Bundesrepublik Deutschland keinen formellen, endgültigen Verzicht auf die Geltendmachung von Zahlungsansprüchen erklärt, sondern immer wieder auf deren Bestehen hingewiesen. Griechische Politiker wie etwa der ehemalige Ministerpräsident Mitsotakis und der damalige Außenminister Samaras forderten Reparationszahlungen. Jahre später bezeichnete der ehemalige griechische Außenminister Avramopoulos die Kriegsschulden als „offen“ ehe sich die neue Regierung um Ministerpräsident Tsipras mit dem Thema befasste. Gegenüber der Bundesregierung von Deutschland hat keine griechische Regierung seit April 2013 derartige Forderungen geltend gemacht.
Fazit
Bislang gibt es zur Frage der Zwangsanleihe keine eindeutige Rechtsauffassung. Es spricht aber einiges dafür, dass der Rückforderungsanspruch rein rechtlich nach wie vor besteht und heute noch geltend gemacht werden könnte.
Letztendlich ist es aber für beide Seiten eine moralisch-ethische Frage, wie man sich unter Freunden nach all den Jahren verhält. Auf der einen Seite steht die Verantwortung Deutschlands zu seiner Schuld und seiner Vergangenheit. Auf der anderen Seite sollte die griechische Seite im Rahmen der Völkerverständigung, der jahrzehntelangen deutsch-griechischen Freundschaft, der bislang von Deutschland erbrachten und von Griechenland als Netto-Empfänger erhaltenen EU-Mittel und der langen EU und NATO Partnerschaft beider Länder bedenken, ob die Geltendmachung der Ansprüche nach all den Jahren, zielführend ist.
Der gewählte Zeitpunkt für die Geltendmachung wird der Bedeutung des Anspruch und dem ihm zugrunde liegenden Sachverhalt jedenfalls nicht gerecht und dürfte auch in Anbetracht des Zustandes der bilateralen Beziehungen falsch sein.
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